„Armut-Identität-Gesellschaft“ und Co-Schreiben

Wissenswerkstatt, 19. und 20. November 2021 in nationalen Zentrum in Treyvaux

Die Teilnahme am Forschungsprojekt „Armut – Identität – Gesellschaft“ (AIG), das ATD Vierte Welt seit drei Jahren durchführt, war für mich eine fantastische Erfahrung. So konnte ich nicht nur an mehreren Volksuniversitäten und Wissenswerkstätten, sondern auch an zwei Workshops für „gemeinsames Schreiben“ teilnehmen.

Mit dem Verfahren des Co-Schreibens wird das Ergebnisdokument des AIG-Projekts erarbeitet und somit sichergestellt, dass die Auffassungen und Beiträge aller TeilnehmerInnen – WissenschaftlerInnen, SozialarbeiterInnen und Menschen mit Armutserfahrung – gleichberechtigt aufgenommen werden.

Ich wollte mich am Co-Schreiben beteiligen, weil mir das gesamte AIG-Projekt am Herzen liegt. Aber auch, weil ich neugierig war. Und vor allem, weil ich dadurch ganz konkret an der Ausarbeitung eines Dokuments – dem Schlussbericht des Projektes – mitwirken konnte, das für den Austausch zwischen ATD Vierte Welt und PolitikerInnen und Institutionen als Grundlage dienen wird.

Ich bin davon überzeugt, dass dieses Projekt dazu beitragen wird, wirksam gegen die Armut in der Schweiz zu kämpfen und eine Realität sichtbarer zu machen, die sich unsere Gesellschaft nur ungern eingesteht.

Eine anspruchsvolle Arbeit…

Dieses Co-Schreiben war kein Spaziergang. Es gab hin und wieder auch frustrierende Momente. Manchmal war nach einem Tag intensiven Austauschs und Diskutierens „lediglich“ eine einzige Seite Text produziert worden. Auch mussten wir uns damit begnügen, nur die in den Wissenswerkstätten gesammelten Wortbeiträge wiederzugeben. Wir durften und konnten also keine neuen Elemente oder „Lösungsansätze“ beisteuern, denn Letztere sind erst in einer zweiten Phase vorgesehen, nachdem alle im Rahmen des Co-Schreibens als relevant betrachteten Beiträge zusammengetragen und analysiert wurden. Zuweilen war es auch schwierig, eine Auswahl zu treffen und bestimmte Aspekte wegzulassen oder sie an andere am Co-Schreiben beteiligte Gruppen weiterzugeben.

… und viele Emotionen

Manche der Erzählungen haben mich sehr aufgewühlt. Oft werden die Lebenserfahrungen dieser Menschen als unglaubwürdig abgetan, mit dem AIG-Projekt hingegen werden sie aufgewertet.

Ich bin zutiefst empört über die Ungerechtigkeiten, die Menschen in Armut erleben müssen.

Diese Empörung hat mich dazu angespornt, mein Bestes zu geben und den bestmöglichen Text mitzuschreiben! Die anderen TeilnehmerInnen der beiden Workshops waren genauso motiviert, so dass wir unserer Analyse- und Schreibarbeit sogar mehr als die vorgesehene Zeit gewidmet haben. Dabei herrschte stets ein Klima der Achtung für die Sensibilitäten jeder und jedes Einzelnen. Selbst die gemeinsamen Mahlzeiten haben sich als wertvoll erwiesen: Sie haben uns einander näher gebracht und uns zusammengeschweisst, um in dieser gemeinsamen Aufgabe noch mehr zu erreichen. Gemeinsam.

Anastasia Leresche, ATD Vierte Welt Aktivistin, Teilnehmerin am Forschungsprojekt „Armut – Identität – Gesellschaft“, Gruppe des Wissens durch Armutserfahrung

Übersetzung von Regina Reuschle