Chronik III

Chronik (III): Wenn der Alltag zum Chaos wird

Image : Christian Januth

Wenn der Alltag zum Chaos wird

Täglich berichten uns armutsbetroffene Menschen, wie sie und andere von der Corona-Krise getroffen werden und welche Bewältigungs-Strategien sie entwickeln. Auch engagierte MitbürgerInnen bringen ihre Erfahrungen ein, um jetzt und langfristig Verbesserungen zu bewirken. In dieser Wochenchronik für die Mitglieder der Bewegung sind Aussagen zu Themen, die sich dabei abzeichnen, zusammengestellt.

Ungleichheit im Hinblick auf digitale Medien

«Mir ist aufgefallen, dass armutsbetroffene Menschen oft keinen Zugang zu digitalen Medien haben und/oder nie im Umgang damit ausgebildet wurden. Die Geräte und Kurse dafür liegen ausserhalb des Budgets.»

«Was nützt ein Computer wenn man ihn nicht bedienen kann oder auf der Strasse lebt?»

«Ich habe ein neues Handy, ich kann die schriftliche Erklärung nicht lesen. Zu klein gedruckt».

Wie erleben junge Menschen diese Situation?

Von einem Jugendlichen, der in einem Heim ist:
«Es ist extrem schwierig. Ich fühle mich wie in einem Gefängnis. Die Türen des Heimes sind verschlossen. Einmal pro Woche gehen wir in Vierergruppen raus. Besuche sind verboten. Ich durfte meine Liebste zum dreijährigen Jubiläum nur fünf Minuten lang sehen. Ich würde sie gerne physisch sehen können, auch wenn ich den Zwei-Meter-Abstand einhalten muss. Wenn ich das Heimareal ohne Erlaubnis verlasse, riskiere ich 14 Tage Zimmerarrest, einschließlich für die Mahlzeiten. Ich verstehe den Zusammenhang, doch nicht wieso ich gleich eingesperrt werden muss.»

«Ich war für ein MoSe (Motivationssemester) angemeldet und war wirklich glücklich, aber die Kurse wurden wegen des Coronavirus abgesagt. Es ist eine Riesenenttäuschung. Ich sollte finanzielle Unterstützung für das MoSe erhalten, was nun nicht mehr der Fall ist. Um meine Rechnungen zu bezahlen und Geld zu bekommen, habe ich, wie mir geraten wurde, Arbeitslosigkeit beantragt. Es dauert jedoch lange bis ich Informationen bekomme.»

Isolation – Gefangensein

«Jeder Tag wird härter und härter. Die Einsamkeit und der Mangel an sozialen Kontakten lastet auf uns. Eingesperrt sein, kein Ausgang, das ist haargenau das Rezept für Depressionen. Ich sehe keine Anzeichen für eine Öffnung und das beunruhigt mich. Normalerweise gehe ich aus, um Leute zu treffen. Jetzt gehe ich ziellos aus dem Haus. Telefone sind kein Ersatz für den realen Kontakt. Wir sind zum virtuellen Leben gezwungen. Ich kann mit niemandem spazieren gehen. Wenn man zerbrechlich und allein ist, ist es noch schwieriger. Wenn das so weitergeht, werde ich den Verstand verlieren».

«Das Schlimmste ist allein zu sein/die Einsamkeit. Ich müsse mich bewegen hat der Arzt gesagt, darum gehe ich jeden Tag raus etwas einkaufen und mache meinen Rundgang im Quartier. Da bin ich aber auch alleine.»

Menschen auf der Strasse

«Die Obdachlosen wurden schon vor dem Virus gemieden und jetzt erst recht mit diesem Virus. Ich sehe sie immer wieder auf dem grossen Platz und manchmal gebe ich ihnen etwas. Wenn ich habe, gebe ich. Ich kann nicht jedem etwas geben, aber wenn ich kann, dann schon. Schliesslich hatte ich früher auch nicht viel. Ich denke, dass man so vielleicht ein Anker für diese Menschen sein kann.»

«Was macht man mit den Obdachlosen? Wir dürfen uns nicht mal mehr im Park aufhalten und falls wir es doch tun, kassieren wir in vielen Städten Geldstrafen. Manchmal sind es sehr hohe Beträge, die ein Obdachloser nicht bezahlen kann.»

Sind auch Sie Zeuge oder erleben eine Situation, die Sie gerne teilen möchten? Dann schreiben Sie uns hier.