Territorien mit null Langzeitarbeitslosen

Öffentliche Videokonferenz: “Den am meisten vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Menschen Priorität geben”

Ein spannendes Projekt, das sich bewährt!

Dieses Projekt gibt denjenigen Hoffnung die keine Chance mehr haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Und es gibt viele von uns. Für uns ist kein anderes Projekt (…) mit diesem vergleichbar: Es erlaubt jedem Menschen, Akteur anstatt Zuschauer in seinem Leben zu sein.

Elisabeth Gillard, Aktivistin Vierte Welt

Am 17. April lud ATD Vierte Welt fünf ReferentInnen ein, um per Videokonferenz das seit 2016 in Frankreich durchgeführte Experiment «Territoires zéro chômeur de longue durée» (TZCLD) zu diskutieren. Das Publikum beteiligte sich an der Debatte, indem es seine Fragen an die ReferentInnen richtete. 

TZCLD wurde aus einer bitteren Beobachtung heraus geboren, bemerkt Jean-Christophe Sarrot: In Frankreich hat es keine Massnahme wirklich geschafft, die Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren. TZCLD hat dieses Ziel und stützt sich entsprechend auf drei Prinzipien: 

  1. Niemand ist arbeitsunfähig. Es ist entscheidend, dass die Arbeitslosen (und nicht nur die staatlichen Behörden, die Sozialhilfe usw.) in die Lösung des Problems einbezogen werden, und zwar vom Entwurf des Projekts bis zu seiner Umsetzung.
  2. Es gibt keinen Mangel an Arbeit. In einem bestimmten Gebiet muss ermittelt werden, welche Bedürfnisse der Bevölkerung von der lokalen Wirtschaft nicht abgedeckt werden. Ziel ist es, in diesen «Nischen» Arbeitsplätze zu schaffen, ohne mit bestehenden Unternehmen zu konkurrieren.
  3. An Geld mangelt es nicht. Anstatt Leistungen an TZCLD teilnehmenden Arbeitslose zu zahlen, weist der Staat das entsprechende Geld dem Projekt zu – zur Finanzierung von Arbeitsbeschaffung, Gehältern usw.

TZCLD hat sich in zehn Gebieten mit sehr unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Realitäten entwickelt. Agnès Thouvenot beschreibt das Projekt in Villeurbanne mit Begeisterung. Dort wurde in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftssektor, den Behörden, den Anwohnern, den Gewerkschaften und vor allem den Arbeitssuchenden ein Unternehmen gegründet, dessen Aufgabe es ist, Arbeitsplätze zu schaffen. Dies bietet Dienstleistungen an, die zuvor für Anwohner und KMUs nicht verfügbar waren, oft in Verbindung mit dem ökologischen Wandel. Auch hier sind die Ergebnisse überzeugend, und die französische Regierung hat beschlossen, das Experiment für den Zeitraum 2021-2026 auf fünfzig weitere Gebiete auszuweiten! 

Ein Modell auch für die Schweiz?

Auch in der Schweiz «ist es dringend notwendig, die Beschäftigung für die gesamte Gesellschaft neu zu überdenken», sagt Aïcha Brugger. In ihren Augen ist TZCLD ein Schritt in diese Richtung, indem dadurch «Menschen in prekären Situationen zu Akteuren der von ihnen gewünschten Veränderung werden» und weil das Projekt «den aktuellen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen entspricht». 

Die Frage-und-Antwort-Runde heizte die Debatte an. Es wurde gefragt, welche Partnerschaften denkbar sind, um dieses Experiment in der Schweiz zu starten, oder wie die 90 Mitarbeiter des Unternehmens in Villeurbanne diese Erfahrung erleben.

Eugen Brand schlussfolgerte: «Unser Land hat eine lange und tiefe Geschichte der Armut, die von unerhörter institutioneller und gesellschaftlicher Gewalt geprägt ist, was durch das Sprichwort Wer nicht arbeitet, der isst nicht veranschaulicht wird». Er weist darauf hin, dass TZCLD insofern innovativ ist, dass es den Teilnehmern die Macht gibt, zu handeln: «Mit Territoires zéro chômeur de longue durée», sagte ihm einer von ihnen, «ist es das erste Mal, dass ich mich in einer Situation befinde, in der ich helfe, Arbeit zu schaffen, anstatt nach Arbeit suchen zu müssen. 

Agnès Thouvenot, erste Bürgermeister-Stellvertreterin von Villeurbanne und, von 2017 bis 2020, Präsidentin des TZCLD-Experiments in Villeurbanne Saint Jean
Jean-Christophe Sarrot, Co-Leiter des ATD Vierte Welt Netzwerks für Beschäftigung und Ausbildung
Aïcha Brugger, soziokulturelle Animatorin und ständiges Mitglied des Vereins zur Verteidigung der Arbeitslosen in Neuchâtel
Elisabeth Gillard, Aktivistin bei ATD Vierte Welt und Mitglied des nationalen Koordinationsteams
Eugen Brand, ständiger Volontär bei ATD Vierte Welt und Leiter der Generaldelegation von 1999 bis 2012